Die 10 Gebote

Quelle: Erklärungen aus "GEJ 2, K26 - K29", Lorber Verlag Bietigheim

Gespräch zwischen Jesus und Cyrenius
Cyrenius: römischer Statthalter, Bruder des Kaisers Cäsar Augustus und unerschütterlicher Anhänger Jesu

26. Winke für Gesetzgeber.

[1] Sagt Cyrenius: »Es ist gut, daß ich das weiß; das andere wird sich schon finden lassen! Weil sie Deine Lehre nicht annehmen, da werde ich für eine andere sorgen. Ich werde ihnen kaiserliche Verordnungen, die mir schon vor einem halben Jahre zur Begutachtung von Rom als schon sanktioniert (genehmigt) eingesandt worden sind, durch Faustus und seine Knechte bekanntmachen lassen! Vielleicht wird ihnen das Evangelium aus Rom mehr Respekt einflößen als das Deine aus den Himmeln! Die Verordnung enthält hundert Punkte als Gesetze, hinter deren jedem das Kreuz und die Geißel aufgerichtet sind: Die Mehrweiberei wird aufgehoben, Unzucht und Hurerei mit der Geißel auf das schärfste bestraft, der Ehebruch mit dem Kreuze, Dieberei und Betrug mit dem Kreuze, der Schmuggel mit der Geißel und mit hundert Pfund Silbers, und dazu eine Menge Mein- und Dein-Gesetze, deren Übertretung die Geißel und hundert Pfund Silbers zur Folge haben wird! So wird ihnen auch das Reisen ohne einen Reiseschein auf das strengste untersagt sein; der Reiseschein aber wird gegen Erlegung von hundert Pfund zu bekommen sein! - Ja, das werde ich tun und werde diese neuen Gesetze besonders für diese Städte in Galiläa allerstrengstens handhaben und sehen, ob bei diesem Volke kein Gewissen mehr zu entdecken und zu erwecken ist!«

[2] Sage Ich: »Das gehört in Deinen Regierungsbereich, und Ich kann dir dagegen weder mit Nein noch mit Ja antworten. Tue da, was du willst; aber erschwere damit Mir und den Meinen das notwendige Umherreisen nicht!«

[3] Sagt Cyrenius: »Durchaus nicht; denn Künstler, Ärzte, Weise und Propheten sind ausgenommen! Ihre Zeugnisse, ihre Taten und Reden dienen ihnen als vollgültigster Reiseschein, und es darf sie bei Todesstrafe niemand daran hindern. Dir aber stelle ich sogleich ein Zeugnis aus, und es wird Dich niemand anhalten, so Du ihm das Zeugnis vorweisest!«

[4] Sage Ich: »Mich freuet dein allzeit guter Wille; aber erspare dir dessenungeachtet diese Mühe! Denn solange Ich werde umherreisen wollen, wird es Mir keine Macht in der Welt verwehren können! Werde Ich Mich aber einmal für die gesamte Menschheit opfern wollen, so wird Mir auch keine Macht in der Welt einen Schutz bieten können; und böte sie Mir solchen auch, so würde Ich ihn dennoch nicht annehmen! Denn, Freund: Der, dem Himmel und Erde gehorchen, wird doch mächtiger sein als alle Menschen auf dieser Erde, die Mir kaum zu einem Fußschemel dienen kann!? Darum tue du zwar, was du willst; aber es wird da wenig fruchten! Denn du magst ein Gesetz noch so vollständig geben, so wirst du nur zu bald gewahr werden, mit welcher Geschicklichkeit die Menschen das Gesetz umgehen werden, und du wirst dagegen nichts tun können.

[5] Gottes Gebote, die durch Moses dem Volke sind gegeben worden, sind gewiß so erschöpfend als nur etwas Vollendetes erschöpfend sein kann; aber Menschen, wie diese Zeiten zeigen, haben Gottes Gebote ganz geschickt in ihre höchst eigenen bösen Satzungen also umzugestalten verstanden, daß die jetzigen Menschen nun gar kein Gewissen mehr haben, die Gebote Gottes zu übertreten, so sie nur ihre Weltsatzungen erfüllen!

[6] Wenn aber die Menschen solches am grünen Holze tun, was alles werden sie tun mit einem dürren Klotze aus Rom!? - Daher tue du zwar, was du willst, und Mir wird es recht sein; aber Ich sage dir auch:

[7] Je mehr Gesetze, desto mehr Verbrecher, für die mit der Zeit eure Kreuze und Geißeln lange nicht ausreichen dürften!«

[8] Sagt Cyrenius: »Das alles, was Du mir nun sagtest, ist unwidersprechlich wahr, aber ich frage Dich doch noch weiter zu meiner höchst eigenen Belehrung: Was kann man aber anwenden gegen die Widerspenstigkeit der Menschen, die vor allem gleich diesen Nazaräern an keinen Gott und an keine höhere Offenbarung mehr glauben und den Geboten Gottes mit jeder ihrer Handlungen den offenbarsten Hohn sprechen?! Soll man sie denn dann auch noch ohne schärfst sanktionierte weltliche Gesetze lassen, damit sie ohne alle Furcht ihren losen Gelüsten frönen könnten, wie es ihnen beliebig wäre, wenn sie schon seit lange her jedes göttlichen Gesetzes bar sind und es unter sich, wie mit ihren Nachbarn, weit ärger zu treiben anfangen als das reißende Wild der Wüste und Wälder?! Da, meine ich, sind scharfe, weltliche Gesetze ganz an ihrem Platze, um solche ganz wildgewordene Menschen wieder zu einer Ordnung und aus dieser zur Erkenntnis Gottes zurückzuführen!«

[9] Sage Ich: »Allerdings; denn da ist kein anderer Weg möglich und denkbar als der durch den Zwang der weltlichen Gesetze! Aber es kommt nun wohl überaus sehr darauf an, was für Gesetze den Menschen zu geben sind!

[10] Dazu gehört eine überaus tiefe Kenntnis der menschlichen Natur; und den wahren Grund, durch den die Menschheit zur Entartung geführt ward, darf der Gesetzgeber nie aus den Augen fallen lassen, - sonst gleicht er einem Arzte, der mit ein und derselben Medizin alle bei den Menschen vorkommenden Krankheiten heilen will, aber gar nicht bedenkt, daß die höchst verschiedenen Krankheiten, die den menschlichen Leib befallen können, auch höchst verschiedener Natur sind und jede einen andern Grund hat. Ein solcher Arzt wird dann und wann wohl hie und da einen Kranken finden, für dessen Übel seine Arznei gerade taugt, und der Kranke wird darauf gesund; aber hundert andere Kranke, deren Übel einer anderen Art und Beschaffenheit sind, werden auf solch eine Arznei nicht nur nicht besser, sondern um vieles schlechter und sterben wohl gar darauf!

[11] Wenn es aber schon für den kranken Leib, den doch jeder Arzt sehen und greifen kann, schwer ist, eine rechte Arznei zu bestimmen, um wieviel schwerer ist es dann, für eine kranke Menschenseele eine rechte Arznei zu finden und zu bestimmen!

[12] Das Gesetz ist wohl die Arznei, so mit dem Gesetze die rechte Lehre, wie und warum das Gesetz zu halten ist, im Verbande ist; aber denke nun selbst nach:

[13] Da hast du eine zornmütige Seele, da eine furchtsame, da wieder eine ränkesüchtige, dort eine neidische, geizige und betrugslustige Seele; wieder wirst du eine forschende Seele antreffen, und der gegenüber eine träge und schläfrige; in einem Hause sitzen vier gehorsame, demütige Seelen, in einem andern fünf widerspenstige - und so fort unter zahllos vielen Eigentümlichkeiten, Schwächen und Leidenschaften.

[14] Nun gibst du für all diese zahllos vielen Charaktere der Seelen ein gleiches Gesetz; wie aber wird es ihnen frommen? Der Furchtsame wird verzweifeln, der Zornige auf Rache und Umsturz zu sinnen beginnen, der Laue wird lau bleiben, und der Forscher wird allen Mut verlieren und innehalten mit seiner guten Arbeit; der Geizige wird noch geiziger werden, und der Hochmütige wird mit dem Zornigen eine Sache machen, und der Schlaue wird beiden seine Hände bieten!

[15] Bedenke nun diese und tausend andere der traurigsten Folgen, die aus einem unweisen, plumpen Gesetze hervorgehen müssen, so wirst du neben der Notwendigkeit eines Gesetzes auch die andere Notwendigkeit einsehen, der zufolge ein Gesetz überaus scharf und genau dahin geprüft werden muß, ob es allen möglichen Charakteren heilsam entsprechen könne oder nicht!

[16] Ist ein zu gebendes Gesetz nicht zuvor also geprüft, so soll es nicht den Menschen zur Beachtung vorgestellt werden, weil im allgemeinen es offenbar mehr Schaden als Nutzen verursachen müßte.

[17] Siehe, Gott, der allweiseste Schöpfer, hat aus Seiner endlosesten Weisheitstiefe nur zehn Gesetze gewisserart gefunden, die für alle Seelencharaktere wohltauglich sind, und jeder Mensch kann sie auch überaus leicht beachten, wenn er nur will; wenn aber Gott Selbst nur zehn Gesetze findet, die mit der Natur und Eigenschaft jeder Menschenseele in voller nutzwirkender Entsprechung stehen, wie möglich kann ein heidnischer Kaiser in Rom gleich hundert Gesetze finden, aus deren Beachtung die Menschenseelen ihr Heil schöpfen sollen?«

 

27. Mißhandlung der seelischen Natur durch menschliche Gesetze.

[1] (Der Herr:) »Ich sage dir: Solange das jüdische Volk unter den Richtern stand, die allein die Gesetze Gottes aufrechterhielten, da war es auch eine lange Zeit im Leben, Handel und Wandel bis auf wenige Eigenheiten völlig der Ordnung Gottes gemäß; als es aber späterhin Gelegenheit bekam, den Glanz der Könige der Heiden zu erschauen, wie diese in großen, prunkvollen Palästen wohnten, und wie sich ihre Völker vor-ihnen bis in den Staub beugten, so gefiel das den blinden Narren aus dem jüdischen Volke wohl, und sie verlangten, da sie sich für das mächtigste Volk der Erde hielten, von Gott auch einen König. Gott wollte dem dummen Verlangen des Volkes aber nicht sogleich nachkommen, sondern warnte es und zeigte ihm all die bösen Folgen, die sie unter dem Könige würden zu gewärtigen haben! Aber Gott ließ da durch die Propheten tauben Ohren predigen; es half nichts, das Volk wollte um jeden Preis einen König!

[2] Und Gott gab dem Volke in Saul den ersten König und ließ ihn salben durch den alten, treuen Knecht Samuel. Als das Volk nun einen König hatte, der ihm sofort schwer zu erfüllende Gesetze gab, da erst fing es an zu sinken immer mehr und mehr - bis auf den gegenwärtigen Punkt der äußersten Verworfenheit.

[3] Wer aber schuldet hauptsächlich daran? - Siehe, - die ungeschickten Gesetze, die von Menschen herrühren, die weder ihre eigenen und sicher noch weniger ihrer Nebenmenschen Naturen gekannt haben und mit ihren plumpen und nur auf den speziellen Eigennutz berechneten Gesetzen alles innere Seelenleben gänzlich zugrunde richteten!

[4] Sage dir es selber und denke wohl darüber'nach: Wenn da irgendwo bestünde ein mechanisches Kunstwerk, das lange Zeit gut ging und dem Willen des Meisters entsprach, aber endlich doch stehenblieb, weil daran irgendein Teil schadhaft geworden war, und es käme dann ein Mensch voll A.ufgeblasenheit und Eigendünkel und spräche zum Besitzer der Maschine: >Ubergib mir das Werk, ich werde es herstellen!<, und der Besitzer täte dies ,in der Meinung, daß der Großsprecher ein Verständiger sei, - was wird, ,wenn der Maulreißer seine höchst ungeschickten Hände ans Werk legt, nur zu bald und zu sicher aus der Maschine werden? Wird dieser, aller mechanischen Kenntnis im Grunde des Grundes völlig bare Maulreißer, der vom ebenfalls blinden Maschinenbesitzer nur einige Goldstücke herauspressen ~will, der Maschine nicht mehr schaden als nützen? Oder wird er sie am Ende "nicht also gänzlich verderben, daß darauf sogar der wirkliche Meister, der ee Maschine gebaut hatte, dieselbe kaum mehr wird zurechtbringen können?

[5] Wenn aber das schon bei einer höchst einfachen, plumpen Maschine, deren Teile offen liegen, leicht zu zählen, zu übersehen und allenthalben mit ,Händen zu greifen sind, notwendig der Fall ist und sein muß, so ein unverständiger Maulreißer sie herstellen will, um wie viel mehr muß der Mensch, der in allen seinen Teilen die allerweisest kunstvollste Lebensmaschine ist, von deren totaler Zusammenfügung nur Gott allein die vollste Kenntnis und Einsicht hat, notwendig verdorben werden, so ein unwissender und höchst unweiser, selbstsüchtiger Gesetzgeber ihn durch allerplumpste und zweckwidrigste Gesetze bessern will, wo er doch nicht die leiseste Spur von einer Kenntnis besitzt, durch die er wenigstens nur zum tausendsten Teile einsähe, was alles dazu gehört, um nur ein Haar auf dem Haupte eines Menschen wachsen zu machen!

[6] Darum, Mein liebster Freund Cyrenius, laß du deine vermeinten hundert Gesetze fein zu Hause; denn du würdest damit niemanden wahrhaft bessern! Laß aber dafür die Gesetze Gottes walten und sanktioniere sie; durch die Beachtung derselben wirst du aus den Menschenmaschinen wirkliche Menschen machen.

[7] Sind sie erst Menschen geworden, dann kannst du ihnen des Staates Bedürfnisse vortragen, und sie werden dann als wahre Menschen freiwillig mehr tun, als sie je als geknebelte Sklaven harter, plumper Gesetze tun könnten.

[8] Ich sage dir: Nur das, was ein Mensch aus freiem Willen nach seiner frei- und somit wohlgebildeten Einsicht tut, ist wahrhaft getan und bringt Nutzen auf eine oder die andere Art; jede erzwungene Arbeit und Tat aber ist nicht eines Staters wert. Denn bei jeder gezwungenen Arbeit und Tat arbeitet allzeit Zorn und Rache gegen den Zwinger (Zwingherrn) mit, und das kann ewig kein Segen für was immer für ein Werk sein.

[9] Wenn du, liebster Cyrenius, diese Meine Worte recht durchdenken wirst, so wird es dir vollends klar sein, daß Ich dir nun die vollste Wahrheit gesagt habe!«

[10] Sagt Cyrenius: »Edelster, göttlichster Freund, da brauche ich wahrlich nicht viel nachzudenken; denn Deine Worte sind ja so klar und wahr wie die Sonne am hellsten Mittage, und ich werde das tun, was Du mir geraten hast. Das Mosaische Gesetz werde ich neu sanktionieren und das Volk zu nötigen verstehen, danach zu handeln! Edelster Freund, so es Dir genehm wäre, würde ich mit Deiner geheimen geistigen Hilfe auch den Griechen das mir wohlbekannte Mosaische Gesetz zu strenger Beachtung verkündigen lassen! Mir kann es dazu sogar an einem politischen Grunde nicht fehlen; denn bekanntlich gibt es zwischen den Juden und Griechen gleichfort Reibungen, die stets und zumeist auf Grund des verschiedenen Glaubens an Gott und der ebenso verschiedenen Erkenntnis desselben entstehen. Die Juden behaupten auf Mord und Brand das ihrige, und die Griechen dagegen, die den Juden in der Dialektik bei weitem vor sind, verhauen mit ihren geläufigen Zungen die schwerfälligen Juden auf eine solche Weise, daß sie den Griechen nicht eins auf tausend zu erwidern imstande sind, und es kommt daher nicht selten zwischen beiden Parteien zu blutigen Tätlichkeiten, was doch sicher keine wünschenswerte Folge von den bestehenden Glaubens- und Gottesgesetzesdifferenzen ist.

[11] So ich aber auch den Griechen das jüdische Gottesgesetz zur strengen Beachtung gebe und es, wie gesagt, auch aus politischen Gründen vom Staate sanktioniere, so werden derlei mir stets äußerst unangenehmen Reibungen sicher unterbleiben. Herr und Meister, habe ich recht, wenn ich das tue? Und so ich es tue, da sage es mir aus Deiner unergründlichen Weisheitstiefe, wie ich das anstellen soll, um den vorgestellten guten Zweck zu erreichen!«

 

28. Von der Freiheit des Geistes.

[1] Sage Ich: »Freund, dein Wille ist gut, aber das Fleisch ist schwach! Dein gutes Vorhaben wird wohl im Verlaufe eines Säkulums (Jahrhundert) zur vollen Wirkung kommen, und du wirst dazu noch manches Gute als Vorbereitung zustande bringen, - aber hüte dich in geistigen Lebensdingen vor nichts mehr als vor dem römischen >Muß<; denn solches schadet dem Menschen allzeit mehr, als es ihm je nützen kann! Denn jedes Muß ist ein Gericht und läßt keine Freiheit zu, die in den rein göttlichen Lebensdingen doch das einzige wohlgedüngte Feld ist, auf dem der Same des Lebens keimen, treiben und endlich zur segensreichen und reifen Lebensfrucht gedeihen kann!

[2] So du einen jungen Vogel, der erst dem Ei entkrochen ist, nimmst und fütterst, auf daß er eher flugstark werde, ihm aber neben der sonst guten Fütterung gleichfort die Flügel stutzest, sage, wird da dem Vogel selbst die beste Fütterung zu etwas nütze sein? Der Vogel wird wohl vegetieren (kümmerlich dahinleben), aber mit dem freien Fliegen wird es so lange einen ganz mächtigen Haken haben, als wie lange du ihm die Flügel stutzen wirst!

[3] Wie aber der Vogel ohne Flügelfedern nicht fliegen kann, so kann auch der Geist des Menschen nie zur freien Lebenstätigkeit gelangen, wenn ihm durch das sanktionierte Muß die Flügel der freien Erkenntnis gestutzt werden. Ein Geist ohne freie Tätigkeit aber ist schon darum tot, weil er das nicht hat, was im Grunde des Grundes sein Leben bedingt und ausmacht.

[4] Du kannst dem Menschen tausend Gesetze geben für seine bloß irdische Lebenssphäre und sie alle unter Muß sanktionieren, so wirst du damit dem Geiste des Menschen viel weniger schaden, als so du ihm ein einziges Gottesgebot weltlich sanktionierest.

[5] Das Geistige muß frei bleiben und muß die Sanktion in sich selbst frei bestimmen, sowie das damit verbundene Gericht; und so erst kann es in und aus sich des Lebens Vollendung erreichen.

[6] Die freien Erkenntnisse des Guten und Wahren sind des Geistes Lebenslicht; aus diesen bestimmt er für sich dann selbst die ihm zusagenden Gesetze. Diese Gesetze sind dann freie Gesetze und sind allein mit des Lebens Freiheit für ewig verträglich. Des Geistes Wille nach den Erkenntnissen ist das freie Gesetz im Geiste, und die ewige Notwendigkeit, nach dem freien Willen zu handeln, ist die ewige Sanktion, nach der auch sicher kein Geist anders handeln kann, als er eben frei handeln will.

[7] Und siehe, das ist denn auch die sich ewig selbst bestimmende Ordnung in Gott, der doch sicher keinen Gesetzgeber über Sich hat.

[8] Gottes freiester Wille bestimmt nach den ewig vollkommensten Erkenntnissen und weisesten Einsichten in Ihm Selbst das Gesetz und sanktioniert dieses durch die höchst eigene, obschon noch immerhin freie Notwendigkeit; und diese ist dann der Grund aller geschaffenen, irdischen Dinge und ihres Bestandes insoweit, als dieser zur inneren Ausbildung, Konsistierung (Festigung) und endlichen freien Isolierung (Verselbständigung) des Geistes notwendig ist.

[9] Der menschliche Geist aber soll ebenso vollkommen werden in sich und durch sich, wie der Urgeist Gottes in Sich und durch Sich vollkommen ist, ansonst der Geist kein Geist, sondern ein gerichteter Tod ist.

[10] Damit aber der Menschengeist das werden kann, muß ihm die Gelegenheit geboten werden, sich ebenso entwickeln zu können in der Zeit, wie sich der göttliche Geist in Gott Selbst von Ewigkeit her in, aus und durch Sich Selbst gebildet hat!

[11] Siehe, Ich hätte doch sicher von Ewigkeit her Macht genug, alle Menschen mit unwiderstehlicher innerer Gewalt zu zwingen, nach irgendeinem gegebenen Gesetz also genau zu handeln, daß sie davon nicht um ein Haarbreit abweichen könnten; aber dann würde der Mensch aufhören ein Mensch zu sein, und er wäre ebensogut ein Tier wie irgendeines aus dem großen Reiche desselben. Er würde dann seine Arbeit freilich höchst genau verrichten, aber an der Arbeit selbst würdest du ebensowenig irgendeinen Unterschied entdecken wie bei der zellenbauenden Arbeit der Bienen und zahllos vieler andern großen und kleinen Tiere.

[12] Wolltest du aber dann mit deiner freien Erkenntnis solche Tiermenschen zu etwas Höherem bilden, so würdest du dann mit ihnen ebensowenig auszurichten imstande sein, als wenn es dir einfiele, die Bienen in eine Schule zu geben, in der sie endlich einmal ihre Zellen auf eine bessere und zweckmäßigere Weise zu bauen anfangen sollten.

[13] Deshalb mußt du die Fähigkeit der Menschen, daß sie sündigen können, nicht so niedrig und nicht als zu sehr verbrecherisch anschlagen; denn ohne die Fähigkeit, den gegebenen Gesetzen zuwiderzuhandeln, wäre der Mensch ein Tier und kein Mensch!

[14] Und Ich sage es dir: Die Sünde gibt dem Menschen erst das Zeugnis, daß er ein Mensch ist; ohne diese wäre er ein Tier!«

29. Der Segen der freien Entwicklung.

[1] (Der Herr:) »Es ist daher zwar wohl gut und recht, die Sünder zu strafen, wenn sie zu sehr von der Ordnung abweichen, die Gott Selbst zur sicheren und in kürzester Zeit möglichen Vollendung gesetzt hat; aber mit einem eisernen Muß soll niemand von der Möglichkeit zu sündigen abgehalten werden. Denn wahrlich sage Ich dir: Mir ist ein Sünder, der frei aus sich Buße tut, lieber als neunundneunzig Gerechte nach dem Maße des Gesetzes, die der Buße nie bedurft haben; der ist ganz Mensch, die andern nur zur Hälfte!

[2] Ich will aber damit freilich nicht sagen, daß Mir darum ein Sünder lieber wäre denn ein Gerechter, weil er etwa allzeit ein Sünder ist - denn in der Sünde verharren heißt: ebenfalls ein Tier werden, das nur mehr aus der falschen instinktartigen Begründung ein schmutziges Leben fristet -; sondern es ist hier nur von einem Sünder die Rede, der das Unrecht, dem Gesetze zuwidergehandelt zu haben, in sich frei erkennt, sich nach der erkannten Ordnung Gottes neu zu bestimmen anfängt und zu einem Menschen wird, dem keine Schule des Lebens fremd geblieben ist.

[3] Solch ein Geist wird in Meinem Reiche dereinst endlos Größeres zu leisten imstande sein als einer, der stets aus einer sklavischen Furcht nie um ein Haar vom Gesetze abgewichen ist und sich in solcher, durch die Furcht gezwungenen Beachtung des Gesetzes zu einer keinen eigenen Willen habenden Maschine herab begründet und sich leiblich und geistig in dieselbe hineingelebt hat.

[4] Nimm einen Stein und wirf ihn in die Höhe! Es wird nicht lange währen, so wird er, nach dem in ihn wie in die ganze Erde gelegten Mußgesetz, nur zu bald in sicher kürzester Zeit zur Erde herabfallen. Ist der Stein darum zu loben, daß er das Gesetz gar so genau beachtet? Du kannst zwar mit dem Steine da, wo es sich um eine feste Unterlage handelt, alles mögliche tun; schaffe aber dem Steine irgendeine freie Tätigkeit, und er wird seine tote Ruhe nie verlassen!

[5] Darum sollst du aus Menschen nicht Steine machen durch Mußgesetze sondern sie nur bilden in ihrer Freiheit, - dann hast du völlig der Gottesordnung gemäß gehandelt.

[6] Siehe, wären die Menschen, die hoch obenan stehen auf der Erde, nicht so träge, wie sie mit seltener Ausnahme sind, so würden sie bei nur einigem Beobachtungsgeiste gar leicht wahrgenommen haben, daß der Mensch, wenn er nur einen gewissen Grad von irgendeiner Bildung erreicht hat, sich ewig nimmer mit der tierischen Einförmigkeit begnügt. Er baut sich zu seiner Wohnung keine Hütte mehr aus Reisern, Stroh und geknetetem Lehm, sondern er behaut Steine und macht aus Lehm Backsteine, baut sich daraus ein stattliches Haus mit Ringmauern und baut dazu feste Türme, von deren Zinnen er weit umhersehen kann, ob sich seinem Hause kein Feind nahe!

[7] Und so bauen tausend gebildete Menschen sich sicher auch tausend Häuser, von denen keines dem andern gleicht - weder in der Form noch in der inneren Einrichtung; betrachte aber dagegen die Nester der Vögel und die Lager der Tiere, und du wirst nie irgendeine Veränderung daran entdecken! Betrachte das Nest der Schwalbe, des Sperlings, siehe an das Gewebe der Spinne, die Zelle der Biene und tausend andere von den Tieren herrührende Produkte und Machwerke, und du wirst nie eine Verbesserung und so auch nie eine Verschlechterung daran entdecken; betrachte aber dagegen das Machwerk des Menschen: welch eine nahe ans Unendliche streifende Mannigfaltigkeit wirst du daran entdecken! Und doch sind es immer die einen und dieselben Menschen, die das alles mit oft großen Mühen zustande bringen!

[8] Daraus aber läßt sich ja schon mit den Händen greifen, daß Gott, der dem Menschen einen Ihm ähnlichen Geist gab, eben den Menschen nicht zum Tierwerden, sondern zum völlig freiesten Gottähnlichwerden erschaffen hat.«